Wahlrecht ist ein grundrechtgleiches Recht
Wahlrecht ist ein grundrechtgleiches Recht, das gemäß unserem Grundgesetz nicht an die Volljährigkeit und an keine Pflicht geknüpft ist. Es braucht somit plausible Gründe, um 1.5 Millionen 16- und 17-Jöährigen ein politisches Grundrecht zu entziehen.
Quellen:
- Art. 93 Abs 1 Nr. 4a GG.
- Art. 38 Abs. 2 Hs. 1 GG.
- „Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2020): 12411-0005: Bevölkerung: Deutschland, Stichtag, Altersjahre, [online] https://www-genesis.destatis.de/genesis/online#astructure [2.11.2020].
Stärkung der Demokratie und Ausgewogenheit der Generationenpolitik
Ein Wahlrecht ab 16 Jahren schafft es, unsere Demokratie zu stärken, indem eine größere Summe an in Deutschland lebenden Personen bei der Wahl unseres Gesetzgebers und somit an der Legitimation unserer Parlamente beteiligt ist. Gleichzeitig wirkt ein Wahlrecht ab 16 Jahren der demographischen Entwicklung in Deutschland entgegen. So sind aktuell doppelt so viele Menschen über 60 Jahren wahlberechtigt wie unter 30- Jährige, während 1990 der Anteil der Wahlberechtigten über 60 Jahren und unter 30 Jahren noch fast gleichmäßig verteilt war.
Quelle: Gisart, Brigitte (2018): Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen, in: Datenreport 2018, Bonn.
Keine Verknüpfung von Volljährigkeit und aktivem Wahlrecht
Die Volljährigkeit tritt nach §2 BGB mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Auch wenn aktuell das aktive wie passive Wahlrecht für Wahlen des Bundestages und Europaparlamentes bei 18 Jahren liegt, ist nur das passive Wahlrecht ausdrücklich an die Volljährigkeit gekoppelt, während für das aktive Wahlrecht das Alter unabhängig von dem Alter der Volljährigkeit bei 18 Jahren liegt. So lag das aktive Wahlrecht 1970 bei 18 Jahren, während die Volljährigkeit mit 21 Jahren eintrat.
Unabhängig dessen ist eine angenommene Reziprozität von Wahlrecht und Volljährigkeit nicht verhältnismäßig, da die Einschränkungen der Rechte von Minderjährigen als Schutzfunktion dienen, die in der Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen nur vereinzelt zum Tragen kommen. So dient das Jugendstrafrecht als Schutzsystem, um die straffällig gewordenen Jugendlichen zu schonen, bei denen keine hinreichende Reife zu erkennen ist. Allerdings wurden in 2018 nur 4,8% der 14- bis 18-Jährigen einer Straftat verdächtig (Tendenz im Vergleich der letzten Jahre fallend). Diese Schutzfunktion muss somit bei 95% der Altersgruppe gar nicht erst zum Tragen kommen. Zudem sind Wahlen nichts wovor Jugendliche geschützt werden müssten.
Dass das aktive Wahlrecht nicht an die Geschäftsfähigkeit geknüpft ist zeigt auch, dass das Bundesverfassungsgericht im Januar 2019 urteilte, dass der Wahlrechtsausschluss von Menschen mit vollständiger rechtlicher Betreuung verfassungswidrig sei.
Quellen:
- Art. 38 Abs. 2 GG
- Der Spiegel (Hrsg.) (1968): Wahlalter: Etwas geben, in: Der Spiegel, Jg. 22, Nr. 51.
- Ostendorf, Heribert (2018): Ziele und Aufgaben des Jugendstrafrechts, [online] https://www.bpb.de/izpb/ 268248/ziele-und-aufgaben-des-jugendstrafrechts [24.11.2020].
- Fischer, Thomas et al. (2019): Anzahl und Entwicklung jugendlicher Tatverdächtiger insgesamt, in: Zahlen – Daten – Fakten Jugendgewalt, München.
- BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 29. Januar 2019, 2 BvC 62/14, Rn. 1-142.
Höhere Wahlbeteiligung
Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren haben auf Landesebene in den Bundesländern mit aktivem Wahlrecht ab 16 Jahren bewiesen, dass sie sich stärker an den Wahlen beteiligen als die Wahlberechtigten in den Altersgruppen der 18- bis 35-Jährigen und teilweise bis 45-Jährigen. Weiter zeigen die repräsentativen Wahlstatistiken, dass sich der Vorwurf, dass 16- und 17-Jährige nur „links“ und „grün“ wählen würden, nicht bestätigen lässt. So weicht das Wahlverhalten der 16- und 17-Jährigen nur gering von dem Ergebnis aller anderen Wahlberechtigten ab. Da Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren durch aktivierende Maßnahmen (z.B. im Unterricht sowie über die Schule organisierte Podiumsdiskussionen) motiviert werden, sich mit Wahlen auseinanderzusetzen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie tatsächlich wählen gehen. Statistisch gesehen bestimmt die Höhe der Erstwahlbeteiligung eines Jahrgangs das Niveau der Wahlbeteiligung des gesamten Wahllebenszyklus. Ein Wahlrecht ab 16 Jahren bietet also die Chance, die Wahlbeteiligung langfristig zu steigern.
Quelle: Repräsentative Wahlstatistiken
- Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Hrsg.) (2019): Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 und am 14. September 2014 nach Alter und Geschlecht, in: Landtagswahl 2019 im Land Brandenburg, Potsdam.
- Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Hrsg.) (2020): Wahlverhalten nach Altersgruppen und Geschlecht, in: Analyse der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 in Hamburg, Hamburg.
- Statistisches Landesamt Bremen (Hrsg.) (2020): Wahlberechtigte, Wahlbeteiligung und Wahlscheine, in: Bürgerschaftswahl 2019 im Land Bremen: Ergebnisse der repräsentativen Wahlstatistik, Bremen.
- Vehrkamp, Robert et al. (2015): Aktivierung ist nötig und möglich: Warum Wahlen in den Schulalltag gehören, in: Wählen ab 16, Gütersloh.
Ausreichende Urteilskraft und politische Reife
Zahlreiche empirische Studien belegen, dass Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren typisierend betrachtet über das notwendige politische Wissen und hinreichende Kompetenz verfügen, um zu einer Wahlentscheidung zu kommen, die einer fundierten Meinung entspricht.
Quellen:
- Faas, Thorsten (2020): Politische Grundeinstellungen, in: Wählen mit 16, Frankfurt am Main.
- Gründinger, Wolfgang (2017): Interesse an Politik, in: Wahlrecht für Jugendliche und ältere Kinder, Stuttgart.
- Vehrkamp, Robert et al. (2015): Jugendliche sind politisch kompetent, in: Wählen ab 16, Studie der 9 Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
Jugendliche wollen Wählen
Jugendliche zeigen bereits an vielen Stellen ihr politisches Interesse und fordern auf vielen Ebenen immer wieder ihr Recht zu wählen ein. Dies zeigen auch Befragungen Jugendlicher zum Thema Wahlalter. So gaben bei einer Umfrage der PlayTheHype GmbH 2020 85% der 14- bis 17-Jährigen befragten an für die Einführung des Wahlalters 16 zu sein. Auch bei einer Umfrage von Statista 2022 gaben 69% der befragten 15- bis 17-Jährigen an die Absenkung des Wahlalters zu befürworten.
Quellen:
- PlayTheHype GmbH (Hrsg.) (2020): CASI-Umfrage mit 10.610 Befragten im Alter von 14 bis 17 Jahren aus allen Bundesländern im November 2020.
- Statista (2022): Umfrage: Absenkung des allgemeinen Wahlalters 2022. Zuletzt abgerufen am 10.08.2023 unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1320859/umfrage/absenkung-des-allgemeinen-wahlalters/.
Liste von Studien zum Wahlalter 16
Wir werden hier Studien zum Thema Wahlalter 16 sammeln. Momentan arbeiten wir daran die Liste zu erweitern, wir können keine Vollständigkeit garantieren.
Studien zu Deutschland
- Faas, T., & Leininger, A. (2020). Wählen mit 16? Ein empirischer Beitrag zur Debatte um die Absenkung des Wahlalters. Frankfurt am Main: Otto-Brenner-Stiftung. https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien/studien-2020/waehlen-mit-16/.
- Faas, T., & Leininger, A. (2023). Mehr Wählen wagen? Ungleichheiten beim „Wählen ab 16“ und ihre Folgen. Frankfurt am Main: Otto-Brenner-Stiftung. https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/publikationen/titel/mehr-waehlen-wagen-1/aktion/show/.
- Faas, T., Leininger, A., Schäfer, A., Sohnius, M.-L., & Roßteutscher, S. (2023). Temporary Disenfranchisement. Negative Side Effects of Lowering the Voting Age. American Politival Science Review, 117(1), 355 – 361. https://www.cambridge.org/core/journals/american-political-science-review/article/temporary-disenfranchisement-negative-side-effects-of-lowering-the-voting-age/326BFAF1B57C0D40767294861D4E2FD3.
- Im Winkel, N., Konzelmann, L., & Vehrkamp, R. (2015). Wählen ab 16. Ein Beitrag zur nachhaltigen Steigerung der Wahlbeteiligung. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/waehlen-ab-16/.
- Morgenstern, J. (2016). Aktives Wahlrecht ab 16 Jahren. Eine kurze Bilanz der Landtagswahl in Bremen am 22. Mai 2011. In A. Gürlekiv, K. Hurrelmann, & C. Palentien, Jugend und Politik. Politische Bildung und Beteiligung von Jugendlichen (S. 393 – 404). Wiesbaden: Springer VS.
- Tremmel, J. (2014). Demokratie oder Epistokratie? Politische Urteilsfähigkeit als Kriterium für das Wahlrecht. In K. Hurrelmann, & T. Schultz, Wahlrecht für Kinder? Politische Bildung und die Mobilisierung der Jugend (S. 45 – 80). Weinheim: Beltz Juventa.
Studien International
- Bergh, J. (2013). Does voting rights affect the political maturity of 16- and 17-years-olds? Findings from the 2011 Norwegian voting-age trial. Electoral Studies, 32(1), 90 – 100.
- Bergh, J. & Eichhorn, J. Lowering the Voting Age to 16. Learning from Real Experiences Worldwide. Cham: Palgrave Macmillan.
- Eichhorn, J. (2017). Votes At 16. New Insights from Scotland on Enfranchisement. Parliamentary Affairs, 71(2), 365 – 391.
- Eichhorn, J., & Hübner, C. (2023). Votes-at-16 in Scotland. Edinburgh: The University of Edinburgh. https://www.sps.ed.ac.uk/votes-at-16-in-scotland-study.
- Head, G., Hill, M., Lockyer, A., & MacDonald, C. (2015). Schools, Political Literacy and the 2014 scottish Referendum. Research Report. Glasgow: University of Glasgow.
- Johann, D., Kritzinger, S., & Wagner, M. (2012). Voting at 16. Turnout and the quality of vote choice. Electoral Studies, 31(2), 372 – 383.
- Zandonella, M., & Zeglovits, E. (2013). Political interest of adolescents before and after lowering the voting age. The case of Austria. Journal of Youth Studies, 16(8), 1084 – 1104.